Dass „The Brandos“ in ihrem Sound zeitgenössische
Kompositionsprinzipien der amerikanischen Ost- und der Westküste
vereinigen, betrachtet Dave Kincaid, kreativer Kopf dieser Band, als ihre
(und seine) hauptsächliche Leistung.
1985 war er, bis dahin Sänger, Leadgitarrist und Songschreiber der „Allies“,
einer glücklosen Band aus dem pazifischen Nordwesten, aus dem vor der
Geburt des Grunge keineswegs tonangebenden, sondern eher provinziellen
Seattle nach New York City gegangen, um in der musikalischen Hauptstadt der
USA nach tonalem Gold zu graben.
Er schloss sich der Gruppe „Soul Attack“ an, die eine Gemenge aus
„REM, Creedence und Motown“ spielte – in der festen Absicht, den
Soul-Appendix samt dem soulsüchtigen Drummer baldmöglichst zu kappen und
mit Bassist Ernie Medillo und Gitarrist Ed Rupprecht neue Wege zu gehen.
Das Projekt nannte man „The Brandos“ – unter diesem Namen waren
„Soul Attack“ bei Billig-Gigs als ihre eigene Vorgruppe aufgetreten, mit
Sonnenbrillen und Hüten gaghaft getarnt.
Das Best-of-Album „Contribution: best of 1985–1999“ (erschienen bei
SPV) zeigt nun, was in 15 Jahren aus dieser Formation geworden ist. Sie
erlebte nach zunächst hoffnungsvollem Aufstieg mit Europatourneen und
Musikpreisen 1990 einen jähen Einbruch – man hatte sich nach Indie-Anfängen
dem Major-Label RCA anvertraut und wurde von diesem prompt fallengelassen,
als die Zeiten auch für das US-Musikgeschäft unter der Golfkrieg-Krise
schlechter wurden. Der Wechsel zu dem deutschen Label SPV erwies sich als
schwierige Segnung – die US-Partner beharrten lange auf der Wahrung alter
Verträge.
Die Sammlung von 16 Songs (Gesamtspieldauer 72:31 Minuten!) ist eben so
gehaltvoll wie abwechslungsreich. Bemerkenswerter noch als die amerikanische
Ost-West-Fusion dringen daraus deutlich folkloristische Wurzeln ins Ohr –
viele Songs wirken im Kern wie iroschottische Traditionals, denen gängige
Rockelemente aufgeschmolzen wurden. An alte Whaling Songs etwa, Lieder der
rauhen Walfänger, lehnt sich „Partners“ an, in dem sich keifende
Zwischenrufe und tosende Trommelbrandung als Akzente über die Soundkulisse
aus Mandoline, Banjopicking und düsterem Männerchor erheben. Dieser Song
stammt aus dem 1992 veröffentlichte Album „Gunfire At Midnight“.
Andere Songs, die Kincaid mit Carl Funk, einem offenbar begnadeten
Partner seiner frühen Jahre geschrieben hat, meistern das gewaltige Wagnis,
Probleme der amerikanischen Historie und Gegenwart aufzuarbeiten, ohne
larmoyant zu werden. „Gettysburg“ (aus dem Album „Honor Among Thieves“,
1987) besingt eine der bekanntesten Schlachten des Bruderkriegs von
1861–65, der in unzählige meist einseitig glorifizierte Gemälde, Filme
und Romane über den Krieg zwischen „den Grauen und den Blauen“ oder „Rebels
und Yanks“ eingegangen ist.
In „The Warrior’s Son“ (von dem Album „The Light Of Day“, 1994)
diskutiert Kincaid das Verhältnis zu seinem Vater: Der ist als
patriotischer Amerikaner irischer Abstammung stolz darauf, Veteran des
Vietnamkrieges zu sein, Sohn Dave verweigert sich dem Waffendienst und dem
durch diesen geprägten Wesen des Vaters.
Er lernt aber im Laufe seines Lebens, seinen Vater dennoch zu
respektieren, ja stolz darauf zu sein, der Sohn des Kriegers zu sein. Mit
dem martialischen Pochen der Bodhran-Trommel, dem trotzigen Biss der
Mandoline und dem überschwänglichen Jubilieren der Penny Whistle bringt
Multi-Instrumentalist Kincaid das musikalische Arsenal seiner geistigen
Heimat an der Rockfront zum pazifistischen Einsatz.
Mit „We Are No Man“, 1995 als Bonustrack der Single „The Light Of
Day“ veröffentlicht, beweisen die „Brandos“, dass sie sich mühelos
und glaubwürdig auch in lateinamerikanischer Gangart bewegen können. „The
Other Side“ (aus dem 1996 veröffentlichten Album „Pass The Hat“)
erinnert mit nagelnden Gitarren ein bisschen an den Westcoast-Rock der
siebziger und achtziger Jahre. „My Friend, My Friend“ wagt sich mit
jaulender Lap steel gar noch einen Schritt weiter, fast in die Niederungen
des Country.
Kincaids rauher Gesang und die kantige Soundmischung sprinkeln jedoch
immer gerade genug zeitgenössischen Alternative-Schotter über die
schillernden, vielen Progressiven anrüchig scheinenden Sümpfe der
Retro-Verliebtheit, um die „Brandos“ stets ganz knapp, doch jederzeit
erhaben darüber hinwegschweben zu lassen.
Kincaid hat der Blütenlese aus fünf Alben zwei bislang unveröffentlichte
Schmankerln beigefügt: „My Way To You“, 1985 als Demo auf dem
Cassettenrecorder aufgenommen, zeigt die ungeschminkten Qualitäten der
„Brandos“. Der wahre Knaller ist der Aufmacher „Hallowed Ground“:
eine Ode an einen im Elend gestorbenen Freund, als schmissiger Trauermarsch,
ergriffen, doch niemals weinerlich.
Stephan Görisch -
13.1.2000
Gefunden bei: http://www.echo-online.de